15. Dezember 2021

Rede zum städtischen Haushalt 2022: „Die Zeit ist jetzt!“

Ulrich Thoden (Fraktionsvorsitzender DIE LINKE. Ratsfraktion Münster)
– Es gilt das gesprochene Wort! –

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Zeiten sind wahrlich nicht einfach, in denen wir diesen Haushalt debattieren. Was wie ein Allgemeinplatz klingt, verdient dennoch eine nähere Betrachtung. Pandemie, Klimakrise, soziale Spaltung fallen uns vermutlich sofort ein. Wir leben in einer Zeit der Weichenstellungen. Aber diese müssen dann eben auch tatsächlich gestellt werden. Ankündigungen und Bekenntnisse zu einem sozial-ökologischen Wandel allein haben noch nie geholfen, eine Not oder gar die Klimakatastrophe zu wenden. Viele Menschen sind enttäuscht von der Politik. Greta Thunberg verlieh ihrer Enttäuschung anlässlich des Klimagipfels in Glasgow mit folgenden Worten Ausdruck: “We are tired of their blah blah blah. Our leaders are not leading.” In diesen Zeiten braucht die Stadtgesellschaft einen starken Gestaltungswillen. Mut und Entschlossenheit sind die Tugenden der Stunde.

Schade nur, dass sich zu den bereits genannten Krisen eine weitere gesellt. Eine Führungskrise. Denn wer führt diese Stadt eigentlich? Unser Oberbürgermeister, der sich zwischen seiner Rolle als Chef der Verwaltung und seiner Rolle als Oppositionspolitiker erst noch entscheiden muss? Möchte er die Ratsbeschlüsse nun ausführen oder öffentlichkeitswirksam kritisieren? Das Instagram-Video zur Vogelstange und der von ihm mitunterzeichnete Brandbrief seiner CDU-Landräte scheinen hier eine klare Sprache zu sprechen.

Die CDU? Zugegeben die Oppositionsbank ist selten der beste Ort, um Gestaltungswillen zu beweisen. Aber immerhin könnte und sollte Opposition nicht destruktiv und spaltend sein. Wir als LINKE verstehen Opposition als Chance, der Ratsmehrheit immer wieder einen Schubs in die richtige Richtung zu geben und den Finger in die Wunde zu legen. Und was tut die CDU? Es ist vermutlich pure Koinzidenz, dass die Tugend der Haushaltsdisziplin erst nach der Wahlniederlage entdeckt wurde. Oder wie erklärt man Anträge, die zu 20 Mio. Euro Mehrbelastung des Haushalts und damit geradewegs in die Haushaltssicherung führen würden? Auch das bewusste Aufheizen und Vergiften des öffentlichen Diskurses um die Verkehrswende passt in diesen Habitus. Die CDU wandert dramatisch inszeniert durch ein Tal der Krokodilstränen, vergisst dabei aber ganz geschmeidig ihre eigene Rolle bei der Genese der Probleme. Wer hat denn die Staus über Jahrzehnte erst entstehen lassen, die Pendlerströme ignoriert und gleichzeitig den ÖPNV hinten angestellt? Wann und von wem wurden denn die Prestigeprojekte, die den Haushalt belasten unddie Kapazität der Verwaltung binden, angedacht?

Sollte der hoffende Blick der Menschen also folgerichtig auf dem Ratsbündnis liegen? Was im vergangenen Jahr durchaus mit positiven Impulsen begann, ist in den Mühen der Ebene stecken geblieben. Eine Politik der Diminutive gewissermaßen: Die viel zitierte Verkehrswende entpuppt sich gerade einmal als „Verkehrswendchen“. Ein paar Straßen rot anzumalen, kostet nicht viel und signalisiert, dass etwas getan wird. Die ganze Wahrheit ist aber, dass die einseitige Fokussierung auf den Radverkehr weder das Klima rettet, noch den Verkehrsinfarkt verhindert. Ohne eine massive Attraktivierung des ÖPNV mit durchgängigen Busspuren auch in der Innenstadt, besserer Taktung (gerade auch in den Randzeiten und Außenstadtteilen) wird das nicht zu machen sein. Kleinere Reförmchen in der Tarifstruktur können nicht davon ablenken, dass wir einen kostenlosen ÖPNV in Münster brauchen. Gewinnabführungen bei den Stadtwerken sind da genau das falsche Signal.

In der Innenstadt sind Verkehrsflächen ein knappes Gut. Wer wie die CDU der Öffentlichkeit weiß machen will, man könne den ÖPNV schneller machen und gleichzeitig ohne Einschnitte beim Autoverkehr auskommen, führt die Menschen in Münster einmal mehr hinter die Fichte. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es eben nur im Märchen. Ähnlich verhält es sich mit der Wunderwaffe Münsterland S-Bahn. Wer glaubt, diese komme in absehbarer Zukunft, glaubt auch an den zweigleisigen Ausbau der Strecke Münster-Lünen. Oder – als Hommage an die Jahreszeit – Väterchen Frost.

Kaum besser auch das Ratsbündnis. Hier fehlt der Mut, klar und ehrlich zu kommunizieren, was an harten Einschnitten für den MIV unumgänglich ist, wie die Verkehrsführung in der Innenstadt aussehen soll, ob und wo geparkt werden kann. Das mag nicht populär sein, bewiese aber politischen Willen und eben Vertrauen der eigenen Bevölkerung gegenüber. Oder kann man nicht kommunizieren, weil schlichtweg ein Konzept fehlt? In diese Richtung weist die um sich greifende „Verkehrsversucheritis“. Die Busspur am Bahnhof (der einzig sinnvolle und richtige Versuch) fußt auf einer alten Idee und war lange überfällig. Aufgrund der Wahl des Zeitpunkts mit zahlreichen Baustellen auf potentiellen Ausweichstrecken für den Verkehr wird die Validität der Ergebnisse zu wünschen übrig lassen. Aber sei’s drum. Endlich wird – zumindest an einer Stelle – der ÖPNV signifikant beschleunigt. Mit dem Versuch Hörsterstraße macht sich das Ratsbündnis zum „nützlichen Idioten“ wie Lenin sagen würde. Letztlich geht es um die Gentrifizierung der letzten einigermaßen bezahlbaren Wohnquartiere der Innenstadt. Dafür nimmt man dann offenbar sogar die Nachteile für den ÖPNV mit allen Konsequenzen wie das Abhängen von Außenstadtteilen in Kauf. Das ist genau das Gegenteil von Verkehrswende. MÜNSTERS MITTE MACHEN ist eine großangelegte Verpuppenstubisierung der Innenstadt für das zahlungskräftige Publikum. Wie praktisch, dass weniger Betuchte ja eh auf den Bus angewiesen sind und daher ohnehin außen vor bleiben. Der Versuch Vorrang Promenadenquerung war eine Bauchlandung mit Ansage. Aber Liebe macht bekanntlich blind, auch die zum Fahrrad. Die Zeit für kleine Versuche ist vorbei, ein großer Wurf muss her und das JETZT. Verzögerungen im politischen Gestaltungswillen führen nicht zu einer Verzögerung der Klimakatastrophe.

Das Gegenteil ist der Fall. Damit die Innenstadt für Pendler*innen und Einkaufende erreichbar bleibt, werden Mobilstationen an allen Einfahrtsstraßen benötigt. Sogar die IHK (bekanntlich eine linksradikale Tarnorganisation)hat dies deutlich erkannt.

Die Auflistung des Mangels an Mut wäre allerdings unvollständig ohne den FMO zu nennen. Obschon die Grünen vorgeben, diesen schließen zu wollen, geschieht nichts. Ein Gutachten dient hier als Feigenblatt. Sobald es um Gelder geht, bekennt man sich wie alle bürgerlichen Parteien zum klimaschädlichen Flugbetrieb. Dieses Mal sogar mit kräftiger Schützenhilfe der ÖDP. Wofür stand doch das „Ö“ ursprünglich? Einerseits will man der Umwelt zuliebe auf die Schaffung von dringend benötigtem, bezahlbarem Wohnraum am liebsten ganz verzichten, andererseits wird der kranke Mann FMO künstlich durch Finanzspritzen am Leben erhalten. Diese dialektische Meisterleistung kann wohl nur durch die mittlerweile erfolgte Annäherung an das Ratsbündnis erklärt werden.

Überhaupt ist der Haushalt von Koalitionsrücksichten durchsetzt. Die Kämmerin spricht zu Recht von einem Ausgabenproblem. Das führt aber – wiederum einem Mangel an Mut geschuldet – nicht dazu, die sogenannten Leuchtturmprojekte zu beerdigen. Beim Musik-Campus wird auf Zeit gespielt. Man hofft so wohl darauf, dass sich das Projekt infolge fehlender Fördergelder von selbst erledigt. Ebenso beim Flyover, der bereits vor der Sommerpause hätte gestoppt werden müssen. Bei beiden Projekten waren wir übrigens die einzige Fraktion, die hier Klartext gesprochen hat. Andernorts sitzt man die Fragen wohl lieber aus. Auch das Westbad ist ehrlicherweise heute so nicht mehr darstellbar. Sagen tut das aber niemand. Es fehlt schlicht der Mut.

An anderer Stelle wird gegeizt. Sei es beim kostenlosen ÖPNV, sei es bei der kostenlosen GoCard für alle Schüler*innen mit Münsterpass, sei es bei unserem Housing-First-Antrag. Soziale Wende: Fehlanzeige. Finanzieren ließen sich diese Forderungen durch den Verzicht auf überflüssige Selbstdarstellungsprojekte sowie eine Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes auf das Niveau vergleichbarer Städte. Die Zeit für Mut ist jetzt! Aber all das wäre dem von der CDU ja gern als „Linksbündnis“ bezeichneten Ratsbündnis wohl zu links. Der vorliegende Haushalt ist unausgewogen und mutlos. Statt echtem Gestaltungswillen atmet er Zögerlichkeit und Koalitionsproporz. Das ist nicht das Signal, das diese Stadt in der Klimakrise so dringend braucht. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Wir können die Stadt konsequent sozial und ökologisch umbauen. Die schlechte: Aber nicht mit diesem Haushalt. Deshalb lehnen wir den Haushalt in der vorliegenden Form ab.